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Märchen, Mord und Dystopie - so waren die Frühlingspremieren

Zwei Erstaufführungen und gleich vier Musicals mit Filmvorlagen hatten im März und April Premiere. Hier ist eine Presseschau.

TOOTSIE in Osnabrück (Foto: Theater/Stephan Glagla)

THE APPLE TREE in Bremerhaven (Foto: Stadttheater/Heiko Sandelmann)

TSCHITTI TSCHITTI BÄNG BÄNG in Detmold (Foto: Landestheater/Jochen Quast)

Für Ungeduldige - direkt zu den Stückinfos:

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Eine der wohl mit größter Spannung erwarteten Musicalpremieren dieser Spielzeit war die deutschsprachige Erstaufführung des Tony-prämierten Broadway-Hits DEAR EVAN HANSEN (2015) – ein Stück, das es nicht nur auf über 1.600 Vorstellungen in New York brachte, sondern zudem bereits mit Ben Platt, Amy Adams und Julianne Moore verfilmt wurde. Beim Musical Frühling in Gmunden hatte das Musical von Benj Pasek und Justin Paul (LA LA LAND, THE GREATEST SHOWMAN) am 22. März nun seine umjubelte Premiere. „Suizid, Angststörungen, Depression, Trauer: DEAR EVAN HANSEN ist kein leichter Musicalstoff, aber ein aus dem Leben gegriffener“, erklärt Florian Maier bei Musical Today über dieses „sensibel ausgeleuchtete Kammerstück, das einen mit leisen, nach innen gekehrten Gesten der Trauer von der ersten Sekunde an in den Bann zieht“. Besonders lobt Maier die deutsche Übersetzung von Nina Schneider, „die zeitgemäß klingt, ohne sich anzubiedern“, während die Salzburger Nachrichten die „eingängige Popmusik“ von Pasek und Paul hervorheben. Weitere Pressestimmen zu DEAR EVAN HANSENfinden Sie hier.

Auch im Stadttheater Bremerhaven fand im vergangenen Monat eine besondere deutschsprachige Erstaufführung statt: Beinahe 60 Jahre nach seiner Broadway-Premiere 1966 ist THE APPLE TREE von den ANATEVKA-Schöpfern Jerry Bock und Sheldon Harnick nun erstmals auch in Deutschland zu sehen. THE APPLE TREE unterscheidet sich dabei in seiner Anlage deutlich von anderen Broadwaymusicals. Jeder der drei Akte „erzählt eine eigenständige Geschichte über Versuchung“, wie es in der Musicalzentrale heißt. Jörn von Hassel spricht in seiner Rezension bei Nordevents von einer „fast vergessenen Rosine aus der klassischen Broadwayzeit“. Zur Musik heißt es hier: „Im ersten und dritten Akt wird das Publikum mit traumhaften Melodien verzaubert, während es im zweiten Akt lauter und dramatischer zugeht.“ Von Hassel hebt zudem die genreübergreifenden Qualitäten des Musicals hervor, wenn er erklärt, THE APPLE TREE lasse sich „nicht in eine Schublade stecken, vielmehr scheinen Grenzen zum Schauspiel und zur Operette über den Abend verteilt regelmäßig bewusst zu verschwimmen“. Auch die Übersetzung findet in der Presse Anerkennung. So schreibt Jürgen Rickert bei Musical Today: „Die Episoden hat Hartmut H. Forche geschliffen und geschmeidig übersetzt und Jerry Bock mit Songs im typischen Broadway-Sound veredelt.“ Einen ausführlichen Hintergrundbericht zu THE APPLE TREEfinden Sie hier.

Nach Detmold und Krefeld-Mönchengladbach hat auch das Theater Plauen-Zwickau LIEBE, MORD UND ADELSPFLICHTEN  auf den Spielplan gesetzt. Das Musical von Steven Lutvak und Robert L. Freedman aus dem Jahr 2012 ist den meisten Zuschauern wohl durch den Filmklassiker ADEL VERPFLICHTET (1949) bekannt, der auf der gleichen Vorlage basiert. Nicole Jähn spricht in der Freien Presse von einem „vergifteten Sittengemälde“ voller „schwarzem englischen Humor“. Auch Kai Wulfes preist auf musicalzentrale.de das Stück als „bitterbös-schwarzhumoriges Musical“, das „ein wahres Gag-Feuerwerk“ enthalte. Der „morbide Spaß“ voller „Witz und liebevoll gezeichneter Charaktere“ besitzt neben hohem Unterhaltungswert aber auch eine nachdenkliche Seite und kann als „Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen mit seinem Standesdünkel im England des frühen 20. Jahrhunderts“ gelesen werden. Zur Musik sagt Wulfes, die Partitur huldige „Dreivierteltakt, spanischer Volksmusik und Jazz“.

Eine nicht minder berühmte Filmvorlage besitzt das Musical TOOTSIE von David Yazbek und Robert Horn, das auf dem gleichnamigen Kultfilm mit Dustin Hoffman (1982) basiert und gegenwärtig im Theater Osnabrück zu sehen ist. Den Kern des Stoffes (ein erfolgloser Schauspieler verkleidet sich als Frau, um so eine Rolle zu erhalten) beschreibt Hoffman als „Geschichte eines Mannes, der zu einem besseren Mann wird, weil er eine Frau war“. Bei Musical Today spricht Claus-Ulrich Heinke von einem „gut funktionierenden Musical“, das in einer „kongenialen Übersetzung von Roman Hinze“ vorliegt. Die Musik warte laut Heinke mit „rasanten Bläsern, fetzigem Schlagzeug und […] weichen Streicher- und Holzbläserklängen“ auf – „ein perfektes Revival der 80er Jahre“. Dominik Lapp hebt auf kulturfeder.de hervor, dass das Stück nicht nur ein „Gag-Feuerwerk“ biete, sondern „zudem die kritischen Seiten des Theaterbetriebs von Machtmissbrauch bis hin zum Gender-Pay-Gap“ beleuchte. Besonders lobt Lapp das Libretto: „Robert Horn hat das Kunststück vollbracht, den Film in einem knapp dreistündigen Musical zu verpacken, dabei nah an der filmischen Vorlage zu bleiben und den Stoff nahezu perfekt […] für die Bühne anzupassen.“

Auch das Musical FAME, das im März am Theater Pforzheim Premiere feierte, basiert auf einer kultigen Filmvorlage. Angela Reinhardt preist in Musical Today die „eingängigen Songs und charmanten Szenen“ sowie die Zeitlosigkeit des Stoffes: „Obwohl die Filmvorlage gute 40 Jahre alt ist, bleibt FAME mit seinem ‚Ich werd’s schaffen‘-Thema, mit den Auditions und den Liebes-Tändeleien in der Performing-Arts-Schule ein ewig junges Thema.“ Die Ludwigsburger Kreiszeitung spricht gar von der „Mutter aller High-School-Musicals“, während die Badischen Neuesten Nachrichten die „Musicalmusik vom Feinsten und die grandiosen Tanzeinlagen“ loben.

Einen deutlich intimeren Rahmen bietet die One-Woman-Show TELL ME ON A SUNDAY von Andrew Lloyd Webber und Don Black, die gegenwärtig im Kleinen Theater Bad Godesberg in Bonn zu bewundern ist. Zum Konzept des Musicals, aus dem der in Deutschland unter dem Titel „Freu dich bloß nicht zu früh“ bekannte Welthit „Take That Look Off Your Face“ stammt, schreibt Daniela Hennen in der Musicalzentrale: „Mithilfe der 24 Songs aus der Partitur Andrew Lloyd Webbers liebt, leidet und kämpft [die Protagonistin] für ihr Glück: Fuß zu fassen in den [Vereinigten] Staaten, ihre Green Card zu erwerben, das Glück in der Liebe zu finden. Wobei die Suche nach Liebe ihr [zentrales] Thema ist.“

Das Theater Hildesheim zeigt aktuell eine andere, selten gespielte Musicalperle: PINKELSTADT (URINETOWN) – eine in einer dystopischen Zukunft, in der die Bevölkerung nach einer Umweltkatastrophe horrende Gebühren für die Benutzung von Toiletten entrichten muss, spielende Satire. Zur Musik von Mark Hollmann schreibt Thomas Molke im Online Musik Magazin: „Im Gegensatz zur Handlung ist die Musik alles andere als düster, sondern klingt vielmehr beschwingt und fröhlich. Hier werden alle Klischees der gängigen Musicals bedient und dadurch […] parodiert. Teilweise wird man auch ganz konkret an bekannte Musicals erinnert, die in der musikalischen Anlage zitiert werden.“ Ähnliches ist in der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung zu lesen: „Bei swingender und hinreißender Musik erzählen Mark Hollmann und Greg Kotis mit viel ironisch-augenzwinkerndem Humor eine Geschichte rund um das Menschlichste vom Menschlichen.“

Mit FRÜHLINGS ERWACHEN feierte jüngst ein weiteres zeitgenössisches Musical seine Premiere am Theater Trier. Das Musical basiert auf dem gleichnamigen Drama von Frank Wedekind aus dem Jahr 1891, doch seine „Themen sind heute genauso aktuell wie damals“, wie bei SWR Aktuell zu lesen ist. Das „Musical mit 20 Pop- und Rocksongs“ bringe den Stoff gekonnt in die Gegenwart, ohne sich zu weit von Wedekinds Originaltext zu entfernen. „Die Songs ergänzen die Handlung. Es gibt melodische Pop-Balladen und Rocksongs“, heißt es weiter. „Bei manchen Songs wird es dem Publikum schwerfallen, auf den Stühlen zu bleiben.“

Einem heitereren Sujet widmet sich das Landestheater Detmold, wo gegenwärtig das Musical TSCHITTI TSCHITTI BÄNG BÄNG gezeigt wird. Das Stück aus der Feder der „Mary Poppins“-Komponisten Richard M. und Robert B. Sherman ist laut Christopher Filipecki auf minutenmusik.de eine „familienfreundliche Märchenskizze“ mit „eingängigen Melodien“, die „liebevolle Unterhaltung für mehrere Generationen“ biete. Gerade ein junges Publikum könne sich, so Filipecki, wunderbar an dem Musical erfreuen: „Ohren, Augen und Verstand werden hier gleichzeitig verwöhnt, aber nicht überfordert, sodass eben auch schon Kinder im Grundschulalter der witzigen, leicht klamaukigen und rührenden Handlung folgen können.“


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